Dienstag, 19. Juli 2011
(36) Ab ans Meer
Als ich morgens um acht Uhr den Frühstücksraum betrat sah es so aus, als sei ich der allererste Gast. Das reichhaltige Frühstücksbuffet war noch unangetastet und die schön dekorierten Tische waren noch alle sauber und ohne jede Gebrauchsspuren. Die nette Dame des Hauses begrüsste mich freundlich und brachte mir einen feinen Cappuccino. Dann beschrieb sie die fünf verschiedenen Kuchen die zur Auswahl standen und zum Schluss sagte Sie, dass es heute richtig heiss werde...
Jetzt war ich noch auf 400 Meter über Meer und beim festmachen der Packtaschen tropfte mir schon der Schweiss von der Stirn, wie heiss wird das wohl am Meer sein? Ich werde es herausfinden, schwang mich aufs Rad und fuhr los. Die Strecke führte angenehm leicht nach unten, ein gutes einrollen, was meinen Beinen und meinen Füssen ganz gut tat. Am rechten Fuss ist der Schmerz ganz verschwunden, links wurde es zwar deutlich besser, schmerzte aber immer noch leicht.
Nach etwa 30 Kilometern kam ich nach "Ginosa", was natürlich auf einem Hügel liegt und so konnte ich mich beim hochfahren richtig einschwitzen. Die Anstrengung belohnte ich mit einem Cappuccino auf dem schönen Hauptplatz, wo schon viele Leute im Schatten der Bäume sassen.
Das war dann schon der schönste Teil der heutigen Strecke. Nach Ginosa geht es bestimmt fast 20 Kilometer lang schnurgeradeaus bis ans Meer. Und da meist der Wind vom Meer Richtung Landesinneres weht, nützte das ganz leichte Gefälle auch nur wenig. Das mag ich gar nicht. Die Luft flirrt über dem Asphalt, weit und breit kein Baum und kein Schatten und am Horizont sieht man die Strasse immer noch gerade vor sich. In Kombination mit über 35° Grad und Gegenwind ist das mein Motivationskiller und in solchen Situationen vergeht mir die Lust am Radfahren. Wenn dann noch Autos mit 110 Sachen ziemlich knapp an einem vorbeirasen, könnte ich lernen zu fluchen.
Etwa fünf Kilometer vor der Küste bog meine geplante Strecke von dieser geraden Linie ab, und folgte für mehrere Kilometer ganz langweilig der Autobahn, bis es dann in Richtung Meer ging. Nur, das war eine Sackgasse. Etwa einen Kilometer vom Meer entfernt kam ich nämlich an ein grosses Tor mit gleich zwei Sicherheitskräften. Golf Club Beach Resort stand darüber. Nein, Privatareal, kein Zutritt, hiess es. Kann man nichts machen dachte ich, das sieht man Satelittenbildern leider nicht an. Ich fuhr also wieder zurück in Richtung Autobahn und fand dann eine Strasse, die tatsächlich bis ans Meer führte und so kam ich nach "Riva dei Tessali" am Golf von Taranto. Der Ort "Taranto" selbst wäre noch etwa 30 Kilometer ostwärts, liegt am Knick der italienischen Schuhsohle zum Absatz, doch da wollte ich nicht hin.
Schon bei der Anfahrt zum Bad erkannte ich meinen nächsten Planungsfehler. Ich wollte danach nämlich bestimmt 20 Kilometer lang der Küste folgen, doch was ich für eine Strasse hielt ist in Wirklichkeit ein Eisenbahntrasse. Da kann man nicht entlang fahren. Die nächstmögliche Strasse ist eben die entlang der Autobahn, also etwa 5 Kilometer von der Küstenlinie entfernt. Zu den einzelnen Strandgebieten führen jeweils nur Stichstrassen, die am Meer enden.
Momentan interessierte mich das jedoch nicht, denn ich wollte diesmal das Meer nicht nur sehen, sondern auch darin baden. Es war mittlerweile ziemlich genau zwölf Uhr mittags und brütend heiss. Für Geizhälse wie mich ist das aber gar nicht so einfach. Jedes Lido verlangt Eintritt in Form von Sonnenschirmmiete, die so zwischen 15 und 25 Euro pro Tag liegt. Ich wollte aber nur kurz baden und nicht gleich einen Strandabschnitt kaufen, deshalb musste ich etwas suchen, bis ich wirklich öffentlichen Strand fand.
Klarerweise gibt es da dann keinen schattenspendenden Baum, sondern höchstens halbhohes Gestrüpp, wo man zwar sein Shirt hinhängen kann, aber nie und nimmer Schatten findet. Ich zog zwischen zwei Sträuchern die Bikekleider aus und die Badehose an und ein paar Minuten später war ich dann auch schon im Meer. Der flache Strand lässt das Wasser auf bestimmt 25° Grad aufwärmen, was dann schön zum planschen ist, jedoch kaum Erfrischung bietet. Also wieder raus, rasch an der Sonne etwas trocknen, wieder umziehen und dann ein Strandcaffee suchen, welches etwas kühleres Wasser anbietet als die warme Plörre in meiner Trinkflasche.
Endlich kann ich etwas im Schatten sitzen, etwas essen und ein wirklich kaltes Mineralwasser trinken. Irgendwie war meine Laune trotz Meer und tollem Wetter nur noch mässig. Was soll ich nun tun? Wie immer in solchen Situationen entschliesse ich mich weiter zu fahren. Also Helm auf und los.
Schon nach zehn Minuten habe ich wieder einen trockenen Mund und die Hitze macht mich wirklich fertig. Nein, jetzt ist genug! Ich fahre zum nächstgelegenen Ort, suche mir ein Hotel und gehe dann wirklich einmal gepflegt baden! Der nächste Ort war dann "Marina di Ginosa". Ja ich weiss, das hätte ich auch einfacher haben können, indem ich die Strasse von Ginosa her kommend einfach geradeaus bis ans Meer gefahren wäre.
Sei´s drum, es gab einige Schilder für verschiedene Hotels und aus irgendeinem Grund entschied ich mich für "Albero da Michele". Da war dann auch ein Zimmer frei, 40 Euro die Nacht, inkl. Klimaanlage und Frühstück, da musste ich nicht mehr lange nachdenken. Endlich mal wieder eine Duschkabine die grösser ist als 60x60cm und aus der Brause kommt viel und regelmässig gleichwarmes Wasser. Herrlich.
Danach betrachte ich mich mit meinem 8-Tage-Bart im Spiegel. So grau meliert sieht das ziemlich chic und modisch aus, ist jedoch völlig unpraktisch. Ausserdem bin ich irgendwie noch nicht reif für einen Bart. Also weg damit. Ganz so einfach ist dies aber nicht, denn die langen Haare verstopfen sofort die Rasierklingen und so brauche ich einige Zeit, bis das Gestrüpp runter ist. Danach sehe ich wieder in den Spiegel und denke Ja, das bin ich.
Dann packte ich die Badehose, das Badetuch und eines der Bücher die ich immer mitgefahren habe in eine Seitentasche und machte mich auf den Weg zum Strand. Jetzt reuten mich die (noch) 10 Euro für eine Sonnenschirmmiete nicht mehr. Dazu kaufte ich noch eine Flasche Mineralwasser und zwei Pfirsiche. Dem wahren "dolce far niente" stand nun nichts mehr im Weg.
Mittlerweile überlege ich, ob ich hier noch einen Tag anhängen soll. Meine Füsse und mein langsam etwas dünnes Nervenkostüm könnten wohl etwas Erholung brauchen und eigentlich habe ich ja schon etwa eine Woche Vorsprung auf meinen vorausgedachten Zeitplan. Immer nur Velofahren hängt mir irgendwann auch zum Hals heraus. Ich weiss es noch nicht und werde vermutlich erst morgen beim Frühstück eine Entscheidung treffen. Das GPS sagt: 67 km., 2:58 Std., 270 Hm.
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