Montag, 11. Juli 2011
(28) Zuerst ans Meer, dann zu Padre Pio
Der heutige Tag begann prächtig, denn die Appartementvermieterin brachte mir frischen Kaffee mit Milch, ein Brioche und zwei echte Scheiben Brot mit Butter und Konfitüre vorbei. So konnte ich schon kurz nach acht Uhr morgens gut gelaunt aufs Velo steigen.
Es dauerte wohl keine halbe Stunde, bis ich die 200 Höhenmeter bis zur adriatischen Küste runtergerollt bin und mir da in einem Strandbad bereits den nächsten Cappuccino genehmigte. Es war ein Traumtag, nicht die kleinste Wolke am Himmel und schon um neun Uhr über 30° Grad warm.
Natürlich war ich nicht zum baden hier sondern um Rad zu fahren, weshalb ich schon bald wieder im Sattel sass und der Küste entlang bis zur Porta Pietro Nero fuhr, wo die Küstenstrasse dann auf der Landseite um den Lago di Lesina führte. Ich hatte mir jedoch in Google Earth eine Schotterstrasse ausgeguckt, die zwischen dem Strand und dem Lago di Lesina entlang führte und regelmässige Leser beginnen schon zu ahnen, dass schon bald Ärger anstand.
In Küstennähe gibt es nämlich keine Schotterstrassen sondern Sandpisten und in der Gegend ist der Sand fein wie Staub und so konnte ich kaum fahren, denn die 120 Kilo Systemgewicht sanken auf den nur knapp 5cm breiten Reifen immer wieder im Sand ein. Obwohl es kaum einen Höhenmeter zu bewältigen gab, lag mein Puls nun dauernd über 130 Schlägen pro Minute. Von Wald gab es auch keine Spur, denn ausser viel dorniges Buschwerk gab es nicht sehr viel. Ich sah weder das Meer, noch den Lago di Lesina, weil mir eben diese Büsche die Sicht verdeckten. Ausserdem musste ich dauernd die Fahrspur suchen, wo der Sand nicht so tief war, damit ich überhaupt fahren konnte.
Wie gestern bei meinem Abstecher zum Lago di Occhio wurde das Vorhaben zu einer wahren Schinderei. Ich musste immer wieder absteigen, weil ich einfach im Sand einsank und nicht mehr weiterkam. Ein 30 Kilo schweres Velo mit breiten Satteltaschen durch tiefen Sand zu schieben ist auch anstrengend und so schwitze und fluchte ich vor mich hin. Der heisse Sand in den offenen Schuhen begann zu reiben, es war einfach nur mühsam. Umkehren wollte ich aber nicht, doch hätte ich zu Beginn gewusst, dass dies etwa 15 Kilometer so aussehen wird, hätte ich wirklich umgedreht. Ich wusste es aber nicht, also Kopf runter und durch!
Ja, ja, das sagt sich so leicht... Dann vernehme ich ein Brummen von Motoren und denke mir, dass die nächste Strasse nicht mehr weit sein kann, doch es tauchen plötzlich drei Strandbuggys auf, die mit ihren dicken Monsterreifen durch die Prärie heizen. Ich kann gerade noch die Fahrspur frei machen, als sie zwischen den Büschen auftauchen und johlend an mir vorbeifetzen, so dass ich in einer dichten Staubwolke stehe. Toll! Die haben sich bestimmt krumm gelacht. Irgendwann dachte ich, ich lege mich jetzt in den heissen Sand, rufe ein letztes Mal meine Frau an und dann verdurste ich ganz einfach. Von mir wird nur noch ein von Aasgeiern abgenagter Schädel übrig bleiben, wie von der Kuh im rechten Bild. Doch auch das ging nicht, denn ich hatte kein Handyempfang... Also: Kopf runter und durch!
Nach etwa eineinhalb Stunden dann endlich ein Haus, ein festgefahrener Weg und danach so etwas wie eine Emmentaler-Asphaltstrasse, mehr Löcher als Teer. Nach etwa zwei Kilometern dann endlich eine Bar mit kleinem Lebensmittelgeschäft. Hurra! Ich bin gerettet! Ich klopfe mir den Staub aus den Kleidern und den Sand aus den Schuhen und dann nichts wie rein. Ich kaufe eine 1,5 l Flasche Mineralwasser und ein Schinkenbrot. Dann schaute ich auf die Uhr. 12:30 Uhr. Toll! Ich Depp war wieder in der grössten Hitze in der Pampa!
Irgendwie verdunstete das Wasser direkt in mir, denn die Flasche war im Nu leer und ich hatte immer noch Durst. Nun kaufte ich mir eine Flasche Bier und eine Flasche Zitronenwasser und mischte mir ein Panaché. Lecker! Auch dieser Liter Flüssigkeit verschwindet in mir. Zum Dessert noch ein Gelati und bald fühle ich mich wieder wie ein Mensch. Mir fällt auf, dass ich hier der einzige Mensch bin, der mehr als eine Badehose und ein T-Shirt trägt. Aus den Gesprächen entnehme ich, dass die Leute nun vom Strand zurückkehren, etwas einkaufen um im Haus zu Mittag zu essen. Dann bleiben sie im Schatten bis am Abend. Viele jammern, wie heiss es heute sei... 37° Grad...
Ich denke mir, dass ich noch bis ins nächste Dorf fahre, mir da ein kleines Hotel suche, nett dusche und dann den Mittag verschlafe, bis ich abends auch mal ins Meer baden gehe. Ja, das dachte ich mir. Blöd nur, dass meine geplante Strecke schon vor dem nächsten Dorf ins Landesinnere abzweigt. Ich kann die erste Hügelkette des Parco Nazionale del Gargano schon sehen und erinnere mich, dass dies eines der grössten Eichenwaldgebiete Europas sein soll. Eichenwald klingt verlockend nach Schatten und eigentlich wollte ich heute ja schon etwas mehr als nur knappe 50 Kilometer Velo fahren.
Die Verpflegung (oder war es das Bier?) hellte meine Stimmung wieder soweit auf, dass ich weiterfuhr. Als Option hielt ich mir folgende Idee offen: Sollte ich an einem schönen Hotel mit Pool und Internet vorbeikommen, beende ich den heutigen Velotag. Ha,ha! Just an illusion!
Die Strasse beginnt sanft anzusteigen und ich fühle mich wirklich wieder erstaunlich gut. So gehen die Kilometer dahin und bald schon bin ich wieder 700 Meter über Meer, wo es auch nicht mehr so brütend heiss ist. Ich komme nach San Marco, einem recht grossen Ort mit einem prächtigen Park, einer breiten Hauptstrasse mit Busbahnhof und allem drum und drann. Ich setze mich in eine Gelateria, esse Eis, trinke Coca Cola und suche die direkte Umgebung nach einem Hotel oder einer Touristeninformation ab. Fehlanzeige. Nur überall Verkehrsschilder nach San Giovanni Rotondo, der einstigen Wirkungsstätte des heiligen Padre Pio. Heute ein grosses Wallfahrtszentrum. Nur nirgends steht wie weit das noch ist.
Mittlerweile ist es kurz vor vier Uhr mittags und obwohl ich schon ziemlich müde bin, entschliesse ich mich, noch nach San Giovanni zu fahren. Ich nehme einfach mal an, dass es nicht mehr weiter als 20 Kilometer sein wird und soweit werde ich schon noch kommen. An einem Brunnen fülle ich nochmals meine Flaschen und fahre los. Es geht nochmals ein kleines Stück berghoch, wo ich die nebenstehende Schilderkombination entdecke. Das unterste Schild fand ich am interessantesten. Es kann doch nicht sein, dass die hier einen 20 Kilometer langen Veloweg bauen - unmöglich! Und siehe da, nach etwa 50 Meter fahre ich über den Hügelrücken und sehe vor mir, etwas weiter unten an der Hügelflanke San Giovanni Rotondo. Das ist ja sehr cool. Von San Marco bis San Giovanni sind es insgesamt kaum 10 Kilometer und in San Giovanni Rotondo gibt es über 100 Hotels.
Ich erkenne, dass das Padre Pio Zentrum am oberen Ortsrand liegt und da ich von oben komme, besichtige ich zuerst die riesige Gedenkkirche und schaue mir die Sache etwas genauer an.Leider ist alles in Richtung Osten gebaut und so kann ich spätabends bei heftigen Gegenlicht nicht wirklich gute Fotos machen. Da sollte ich morgen nochmal hin. Ich entdecke ein Pilgerinformationsbüro. Interessant. Da kann ich ja mal nach einem Hotel fragen.
Zu meinem grossen Erstaunen arbeitet da sogar eine junge Schweizerin, so dass ich problemlos meine Wünsche anbringen kann. Sie empfiehlt mir ein 4*-Hotel mit dem Namen "Centro di Spiritualità di Padre Pio" das trotz der 4* recht günstig sei. Das kann ich zwar kaum glauben, doch der nette Herr am Empfang sagt: "35 Euro für Zimmer mit Frühstück und 12 Euro für die Stiftung, macht total 47 Euro. Ist gebucht! Das Zimmer ist der volle Luxus! Klimaanlage, Kühlschrank, TV, Internet, goldene Schalter und aller Klimbim. Echter vier Sterne Luxus! Es lässt sich scheinbar auch ganz luxuriös pilgern...
Zum Schluss noch ein Kartenausschnitt der heutigen Tour. Der Bildausschnitt zeigt den Sporen von Italien, die rote Linie meine heutige Strecke. Morgen will ich nach rechts bis zum Monte Sant Angelo, dann nach oben bis nach Peschici und dann ganz nach Osten, nach Vieste. Am Mittwoch fahre ich dann der Küste entlang bis nach Manfredonia, wo ich Freunde treffen werde und hoffentlich endlich mal im Meer bade gehe. GPS-Koordinaten oder Google-Earth was auch immer für Punkte kann sich jeder selbst heraussuchen. Dafür fehlt mir die Lust und die Zeit. A propos Google Earth: Die Kirchenanlage von Padre Pio ist in Google Earth dreidimensional dargestallt. Das war´s für heute. Das GPS sagt: 112 km., 6:26 Std., 1´000 Hm.
PS: Im Fotoalbum gibt es etwa 50 neue Bilder.
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