Man kann durchaus behaupten, dass ich ein ziemlich schlechtes Gedächtnis habe. Es passiert mir z.B. andauernd, dass sich Fahrgäste bei der Begrüssung mit Ihrem Vornamen vorstellen und ich zwei Minuten später nicht mehr den geringsten Schimmer habe, wie sie heissen.
Heute war ich für eine Rundfahrt in Neu-Oerlikon gebucht. Wie immer war ich pünktlich vor Ort und schon bald traten meine Kunden an mich heran. Ich schaute mir die zwei Frauen an und war mir nicht bewusst, dass ich sie schon je zuvor gesehen habe. Während der Fahrt erzählten sie mir dann, dass sie nun schon zum vierten Mal mit mir unterwegs sind. Seit vier Jahren buchen sie immer im Herbst eine Rundfahrt und erkunden dabei immer einen anderen Stadtteil von Zürich. Im letzten Herbst seien wir gemeinsam durch Zürich West gefahren und das sei Ihnen noch in bester Erinnerung... Ehrlich? Ich sah mir die zwei Frauen nocheinmal an und stellte dennoch fest, dass da gar nichts klingelt. Meinerseits ist da nicht ein Hauch einer Erinnerung hängen geblieben.
Natürlich könnte ich jetzt rationale Gründe vorbringen wie: Ich fahre pro Jahr geschätzte 600 Mal Kunden mit der Rikscha durch Zürich. Ich sitze vorne und die Kunden sitzen hinter mir. Nur wenn ich Ihnen etwas erzähle oder beschreibe, drehe ich mich zu ihnen um und schaue in Ihre Gesichter. Die meiste Zeit schaue ich nach vorne, auf den übrigen Verkehr, auf Fussgänger und auf den Weg, den ich einschlagen möchte. Ich treffe so viele neue, mir unbekannte Menschen, dass ich sie mir unmöglich alle merken kann.
Die Wahrheit ist jedoch viel einfacher. Ich lege keinerlei Wert auf ein gutes Gedächtnis. Im Gegenteil: Ich liebe es zu vergessen! Vergessen macht glücklich! Was interessiert mich denn der Schnee von gestern? Das ist vorüber und vorbei.
Diese grundlegende Haltung habe ich schon seit vielen Jahren und das hilft dann in den Situationen, wie oben geschildert, überhaupt nicht. Natürlich ist mir das manchmal peinlich, doch so funktioniere ich nun mal. Obwohl in der Allgemeinheit ein gutes Gedächtnis und Erinnerungsvermögen als positive Eigenschaften gelten, so ist mir persönlich das überhaupt nicht wichtig. Ja, ich glaube wirklich, dass Vergessen ein wichtiger Bestandteil ist, um glücklich zu sein. Ich habe doch schon einige Menschen kennengelernt, die all die negativen Erfahrungen ihres Lebens einfach nicht vergessen können, verbittert werden und kaum mehr Lebensfreude finden. Das soll mir nicht passieren.
Das bringt mich dann auf diesen Blog, dem ich ja den Untertitel "externes Gedächtnis, seit 2005" gegeben habe. Ich erzähle hier vorwiegend positive Geschichten aus meinem Alltag. Das ist kein Mecker-Blog, wo ich meinem Frust Ausdruck verleihe und mich gross über Dinge auslasse, die mich stören. Das interessiert mich einfach nicht. Wenn ich hier in der Vergangenheit stöbere, dann lese ich gerne über die kleinen Dinge, die mich gefreut haben.
Natürlich ist auch bei mir nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Es gibt auch ab und an mal kritische Beiträge oder ich berichte über Unfälle, Verletzungen oder Krankheit. Doch die Grundstimmung ist positiv. Sich ans Gute erinnern und das Schlechte vergessen, das finde ich einen praktikablen Lebensgrundsatz. Denn wenn es mir mal wirklich schlecht gehen sollte, dann kann ich mich hier an vielen positiven Beiträgen erfreuen und dadurch wird mir dann sicher (oder hoffentlich) bewusst, dass die grundsätzliche Bilanz positiv ausfällt. Diese Idee gefällt mir.